Stellungnahme von CC-Justitiarin Dr. Claudia Rossbach
Das Kammergericht Berlin (KG) hat unter Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Berlin (LG) entschieden, dass die Berufung der GEMA gegen das Urteil des LG Berlin zurückgewiesen wird und dass die Regelung des § 5 GO Wertung U nichtig ist, soweit zur Ermittlung des Wertungszuschlags das Aufkommen für Werbung in der Sparte T FS nicht berücksichtigt wird. Das Urteil bezieht sich auf die Abrechnungszeiträume 2006 – 2012. Das KG hat die Revision nicht zugelassen. Zwar ist die GEMA berechtigt, eine Nichtzulassungsbeschwerde zur Revision einzulegen. Da das KG aber darauf hingewiesen hat, dass die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshof erfordern, wage ich die Prognose, dass die GEMA mit ihrer etwaigen Nichtzulassungsbeschwerde wohl keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.
Das Urteil des KG ist beschränkt auf die in der Zeit von 2006 bis 2012 geltende Fassung des § 5 Abs. 1 GO Wertung U, die eine Berücksichtigung des Aufkommens aus Werbung in der Sparte T FS (Tonfilm im Fernsehen) nicht vorgesehen hat. Diese Regelung wurde in der GEMA-Mitgliederversammlung vom 27.06.2012 geändert, wonach der Koeffizient für T FS-Werbung von Wert 3 auf den Wert 2 abgesenkt wurde. Gleichfalls wurde beschlossen, dass ab dem Geschäftsjahr 2013 sämtliche Arten von Rundfunkwerbemusiken bei der Berechnung des Wertungszuschlags anteilig berücksichtigt werden. Das Urteil des KG betrifft mithin lediglich die Ansprüche der Berechtigten in der alten Fassung von § 5 GO Wertung U (bis Ende 2012).
Infolge der Nichtigkeit von § 1 Abs. 1 GO Wertung U (a.F.) steht den klagenden Komponisten ein Anspruch auf Berücksichtigung des Aufkommens aus Werbung in der Sparte Tonfilm im Fernsehen (T FS) zur Ermittlung der auf sie jeweils entfallenden Wertungszuschläge zu. Das KG setzt die Begründung des LG fort und unterstreicht die Wertungen des LG als im Wesentlichen zutreffend. Zu dem erstinstanzlichen Urteil hatte ich bereits im CC-Newsletter vom April 2012 ausführlich Stellung genommen. Hierauf möchte ich verweisen.
Wiederum wird als Prämisse hervorgehoben, dass die Regelungen des GEMA-Berechtigungsvertrages, des Verteilungsplanes und dessen Ausführungsbestimmungen Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) darstellen und insoweit der Inhaltskontrolle unterliegen (s. hierzu auch BGH GRUR 2013, 375/376 – Missbrauch des Verteilungsplans).
Der von der GEMA jeweils beschworene Ermessensspielraum wird zwar auch vom KG bei der Ausgestaltung des Verteilungsverfahrens dem Grunde nach bejaht, im vorliegenden Rechtsstreit jedoch sieht das KG diesen Ermessensspielraum als verletzt an. Die GEMA sei verpflichtet, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehörenden Rechte und Ansprüche auf Verlangen der Berechtigten zu angemessenen Bedingungen wahrzunehmen (vgl. §6 Abs. 1 S. 2 UrhWG) und habe die Verteilungspläne so aufzustellen, dass sie ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung ausschließen (vgl. § 7 Abs. 1 UrhWG i.V.m. Art. 3 GG: Willkürverbot). Gegen diese Grundsätze hat die GEMA verstoßen. Das KG führt wörtlich aus: „Denn durch die Nichtberücksichtigung des Werbeaufkommens in der Sparte T FS werden die Komponisten von Musik für Werbefilme, die im Fernsehen ausgestrahlt werden, bei der Verteilung von Wertungszuschlägen auf ihr jeweiliges Aufkommen ungleich behandelt gegenüber Komponisten von Musik für Werbung, die im Hörfunk gesendet wird, und von Musik, die der Illustration von Eigenwerbung der Fernsehsender oder sonstiger im Fernsehen ausgestrahlter Sendungen dient, deren Aufkommen gem. § 5 Abs. 1 GO Wertung U bei der Ermittlung des Wertungszuschlags berücksichtigt wird“ (s. S. 10 des Urteils).
In diesem Zusammenhang konnte die GEMA mit ihrem Argument, dass diese Ungleichbehandlung gegenüber dem Hörfunkbereich einem ansonsten unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand geschuldet sei, nicht durchdringen. Das KG betont ausdrücklich, dass die GEMA diese Behauptung in keiner Weise substantiiert dargelegt hätte durch Angabe, welchen Aufwand sie zur Ermittlung des Aufkommensanteils aus Musik in Hörfunkwerbung überhaupt betreiben müsste, und weshalb dieser außer Verhältnis zu den darauf entfallenden anteiligen Wertungszuschlägen der Sparte R stünde. Offensichtlich hat die GEMA für diese Behauptung im Prozess keinerlei Beweis angetreten.
Auch dem „Argument“ der GEMA, dass Musik in Fernsehwerbung in sogenannten Fremdproduktionen auf der erststufigen Ebene des Verrechnungsverfahrens aufgrund des auf sie angewendeten Koeffizienten 3 erheblich besser gestellt werde als Musik in sonstigen Fernsehsendungen, war kein Erfolg beschieden. Das KG hat klargestellt, dass die beiden Ebenen des Verteilungssystems der GEMA, nämlich Verrechnungs- und Wertungsverfahren, getrennt voneinander ausgestaltet werden müssen und auch getrennt zu beurteilen sind. Eine Vermengung oder gar Verrechnung der beiden Ebenen sei nicht zulässig. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil nicht sämtliche Berechtigten der GEMA sowohl am Verrechnungs- als auch am Wertungsverfahren teilnehmen. Denn am Wertungsverfahren beteiligt werden nur Mitglieder der GEMA.
Auch das im erstinstanzlichen Urteil ausgeführte Argument, dass gerade das Wertungsverfahren in besonderer Weise dem in § 7 S. 2 UrhWG verankerten Zweck der Förderung kulturell bedeutender Werke zu dienen hat, wird vom KG aufgegriffen. Danach ist es ausgeschlossen, das Aufkommen aus einzelnen Nutzungsarten insgesamt auszuschließen, zumal auch solche Werke für Wertungszuschläge berücksichtigt würden, bei denen eine höhere Förderungswürdigkeit als derjenigen von Musik in Fernseh-Werbespots nicht erkennbar sei.
Insgesamt gesehen hat das KG die Begründungen im Urteil des LG Berlin konsequent bestätigt und weitergeführt. Dass es die Revision nicht zugelassen hat, ist meines Erachtens zutreffend begründet. Als zusätzliches Argument weist das KG darauf hin, dass die streitgegenständliche Regelung des § 5 Abs. 1 GO Wertung U durch die im Jahr 2012 beschlossene Neuregelung inzwischen überholt sei (s.o.). Das KG geht insoweit offenbar davon aus, dass ein auf die Zukunft gerichtetes Interesse an einer weiteren Klarstellung nicht mehr erforderlich ist. Ob die neue Fassung von § 5 Abs. 2 GO Wertung U rechtlich unbedenklich ist, wird vom KG nicht weiter geprüft, da dies nicht streitgegenständlich war.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das Urteil des KG – auch wenn es als Feststellungsurteil die Nichtigkeit von § 5 GO Wertung U insgesamt bestätigt -, grundsätzlich nur zwischen den jeweiligen Parteien des Rechtsstreits Wirkung entfaltet. Eine automatische Erstreckung dieses Urteils im Sinne einer Rechtskraft auch auf sämtliche anderen betroffenen Komponisten findet nicht statt. Auch die Parteien des Rechtsstreits vor dem KG haben mit dieser Feststellung noch keine Nachzahlung beansprucht und erhalten. Das KG führt zwar aus, dass es davon ausgeht, dass sich die GEMA an die Feststellung der Nichtigkeit und mithin an Nachzahlungsansprüche halten würde, mehr jedoch nicht. Insoweit ist die Verjährungsthematik im Auge zu behalten.
Dr. Claudia Rossbach
Rechtsanwältin